Wir dokumentieren hier zwei kritische Stellungnahmen, die uns mit Beginn des Kongresses zugegangen sind. Bei der einen handelt es sich um einen Text Detlef Hartmanns von der Gruppe Capulcu aus Köln, der uns per E-Mail um die Veröffentlichung gebeten hat. Bei dem zweiten handelt es sich um ein anonym ausgelegte Stellungnahme, die als „Hochschul-AG der TOP B3rlin“ unterschrieben ist. Diese AG existiert nicht. Da uns das zweite Statement nur in Papierform vorliegt, dokumentieren wir es vorerst hier als Fotografie und bemühen uns in der Folge um einen Scan. Beide Papier können auch beim Kongress mitgenommen werden. Wer sich in Bezug auf die formulierten Kritiken selbst ein Bild machen möchte, dem sei Lektüre der Broschüre „Keine Zukunft ist auch keine Lösung“ von TOP B3rlin, die Durchsicht des Kongress-Programms und natürlich der Besuch, so möglich, ans Herz gelegt. Der Kongress findet noch bis Samstagabend an der Universität Hamburg statt. Wir freuen uns auf Euch!
Detlef Hartmann: An alle Produktivkraft-, Technik- und Forschrittsfetischisten
Hochschul-AG der TOP B3rlin (Pseudonym): Keine Vergangenheit ist auch keine Lösung
An alle Produktivkraft-, Technik- und Fortschrittsfetischisten: Ihr könntet (mal wieder) auf der falschen Seite der Barrikade stehen.
Detlef Hartmann (Capulcu Köln)
Bis heute sind wir immer wieder mit dieser abgeschmackten Behauptung über die Schmerzgrenze hinaus angeödet worden: Technik ist entweder gut oder wenigstens neutral oder wird unter Abstraktion vom gewaltsamen Prozess ihrer Herstellung und Durchsetzung neutralisiert: als Dampfmaschine, Fließband, und heute „Digitalisierung“. Ja sogar als Teil eines sozialen Verhältnisses affirmativ gesetzt und als Produktivkraft begrüßt. Es sei nur ihre kapitalistische Anwendung bei der Ausbeutung von Menschen, der ihre Widersprüchlichkeit bestimme und die sie schlecht und fragwürdig werden lasse. Von ihr müssten wir befreit werden, um so die Technik, die Menschen, die Arbeit zu befreien. Der letzte große historische Zyklus, in dem dergleichen propagiert wurde, war der sogenannte „tayloristische“ oder „fordistische“. In ihm wurden tayloristische Rationalisierung, das Fließband und ihre Maschinerie eingesetzt. Auch sie waren, so die Legende, im Grunde nützlich bzw. neutral. Ja, sogar bestimmendes Strukturprinzip der gesamten Gesellschaft. Mittel der Knechtung und Überausbeutung waren sie nur im Dienste des Kapitalismus. Das sagten Sozialisten aller Couleur, Bolschewisten, Trotzkisten und dergleichen. Die wirkliche Geschichte hat das als propagandistische Lüge entlarvt. An dieser Lüge lässt sich auch für heute vieles lernen.
Taylors Wut als Angehöriger einer aufsteigenden Avantgarde aus dem amerikanischen Progressismus galt der Kontrolle der Arbeiter*innen über ihr eigenes Arbeitsverhalten. Sie konnten langsam arbeiten, sie konnten schnell arbeiten, ohne dass ein direkter Zugriff auf ihr Verhalten zur Erhöhung von Produktivität und Rendite möglich war. Also machten sich Taylor und Konsorten wie Gilbreth und Gantt daran, das Arbeitsverhalten genau zu erfassen und in Einzelschritte zu zerlegen, um sie dann seriell zu einer Kette zu reorganisieren. Die Kontrolle der Arbeiter*innen über ihr eigenes Verhalten sollte so durchbrochen und letztlich beseitigt werden, um das Kommando hierüber auf die Managementebene abzuziehen. Ford hat seine Erfahrungen hiermit in die Organisation des Fließbands übernommen. Taylor ließ in seinen Schriften (den „Principles“) und seinen öffentlichen Erklärungen (z.B. im US-Kongress) nicht den Hauch eines Zweifels über den sozialen Charakter seines Vorstoßes aufkommen. Er nannte ihn einen auf eine ganze Epoche angelegten „Krieg“ („war“) gegen die Arbeiter*innen, eine „schonungslose, harte und gemeine Form des Kämpfens“, des „fighting“ gegen sie, und die Rationalisierung eine „neue Waffe“. Er sprach nicht etwa von der Benutzung von etwas Nützlichem als „Waffe“, auch nicht von ihr als Teil eines sozialen Verhältnisses. Vielmehr ging es um die innere Logik der Rationalisierung, um die strategische Zielrichtung der Technologie im Kampf gegen die Arbeiter*innen als kriegerisches Projekt. Keineswegs nur um Herrschaft, denn die brach sich ja noch an Eigenwillen und Subjektivität der Klasse. Der Krieg und die Kämpfe dauerten Jahrzehnte. Sie wurden über eine ganze Epoche hinweg in alle Dimensionen der amerikanischen und schließlich der Weltgesellschaft getrieben. In den USA, Europa, in Russland. Dort zunächst unter dem Zaren, und dann nahtlos daran anknüpfend in der Sowjetunion unter Lenin und seinem tayloristischen Kettenhund Gastev, Trotzki und Stalin, und zwar gegen den permanenten und zeitweise außerordentlich militanten Widerstand der Arbeiter*innen noch über den „Großen Terror“ 36/37 hinaus. Taylors „Krieg“ nahm zu seiner Durchsetzung zwei blutige „Maschinenkriege“ in Anspruch, inklusive der sie begleitenden völkermörderischen Barbareien. Egal, ob sich seine Avantgarden nun „Kapitalisten“ oder „Sozialisten“ nannten, sie waren alle Kapitalisten, wenn man sich mal von den vulgärmarxistischen Definitionen trennt. Sie betrieben nicht die Verwendung einer Maschine, sondern einen Zurichtungsangriff, der die restlose Maschinisierung von Arbeit und Leben zum Ziel hatte, bis in Haushalt, Familie und städtisches Umfeld hinein. Der Begriff des „Fordismus“ und die paradigmatische Vorstellung von einer „Fließbandgesellschaft“ (Trotzki imaginierte sogar die totale Integration von Stadt und Land zum „sozialistischen Fließband“) tauchte als Produkt des Antagonismus auf der Kapitalseite erst Jahrzehnte später nach Beginn des Angriffs auf. Dieser ist schließlich an den Widerständen der Subjekte in den 60er und 70er Jahren weltweit, auch bis in den letzten Winkel des Realsozialismus (z.B. „Prager Frühling“) hinein in die Krise geraten. Er wurde, wie dies in der Geschichte in ähnlicher Weise immer wieder passiert ist, durch einen neuen technologischen Angriff zur Wiederherstellung des Kommandos auf neuer historischer Stufe aufgefangen: dem technologischen Angriff der Informationstechnologien, und zwar von den entscheidenden Akteuren ausdrücklich unter Berufung auf den Taylorismus.
Wir haben den Beginn dieses neuen epochalen Angriffs -denn mehr ist es bis jetzt nicht- in Büchern, Artikeln und zum Schluss in Köln auf einem Kongress unter dem Titel „Leben ist kein Algorithmus“ dargestellt. D.h. in die Tiefe seiner Logik von Unterwerfung und technologischer Aneignung von Lebensprozessen (nicht zu verwechseln mit der notwendig damit einhergehenden Aneignung von Produkt und Mehrwert), und in ihre verschiedenen Felder in Arbeit und Gesellschaft verfolgt. In den Angriff auf die Sozialstrukturen durch eine Politik der „schöpferischen Zerstörung“ und Vertreibung (am Beispiel des Silicon Valley/ San Francisco); in einer Politik der gnadenlosen Unterwerfung von Arbeit in völlig neuen Formen (Amazon, Uber); in einer Politik des Eindringens in Subjektivität und Gefühl („Facebook, Liebe, Sex“); in einer Politik des Zwangs zur Selbstunterwerfung im digitalisierten Schuldenregime; in einer Politik des Zwangs zur Selbstoptimierung im Gesundheitswesen; in einer Politik der Transformation des Geldregimes und der politisch-ökonomischen Bewirtschaftung, und und und. Wir fällen nicht das lächerliche Urteil, dass die Technologie „schlecht“ ist. Aus welcher – ohnehin historisch bedingten – Ethik heraus denn auch. Wir sagen, es ist Gewalt und sozialer Krieg. Die Form der technologischen Aneignung von Lebensprozessen (nicht nur des Produkts!) im Angriff der neuen innovatorisch-technologischen Avantgardeunternehmen hat direkt Kämpfe der Arbeiter*innen und angegriffenen Subjekte im erweiterten gesellschaftlichen Zusammenhang der kapitalistischen Reproduktion gegen sich aufgerufen. Er fordert auch uns –so haben wir argumentiert- dazu auf, der Offensive im Sinne der Befreiung, Selbstorganisation und Entwicklung völlig neuer Formen revolutionärer Subjektivität zu begegnen.
Angesichts dieser eindeutigen Befunde von technologischem Angriff und Gewalt und der blutigen historischen Erfahrungen der Opfer sind wir bestürzt darüber, wie es dazu kommen kann, dass wir in den Vorbereitungsverlautbarungen und -materialien zu diesem „ums-ganze“-Kongress wieder Folgendes lesen müssen:
Sie sehen die Maschinen zwar eingebunden in die „widersprüchliche Verfasstheit der Technik im Kapitalismus“. Die Frage laute jedoch: „Wie können wir die Maschinen – und mit ihnen uns – vom Kapitalismus befreien?“ Egal, wie problematisch und schwierig sie sich das vorstellen, der Aussagenkern ist letztlich: Kapitalismus „wisch und weg“ und dann kommt das Goldstück Maschine und wir mit ihm befreit hervor. Letztlich sei der Kapitalismus der Maschine äußerlich. Und weiter: „Die Digitalisierung ist darum eine technische Revolution, weil sie alle gesellschaftlichen Bereiche neu strukturiert. Die Gesellschaft stellt sich nicht mehr nach dem Bild der Dampfmaschine her, aber auch nicht mehr nach dem Bild des Fließbandes, sondern nach dem Bild der universellen Rechenmaschine“ –zur Erschließung ihrer „enormen Produktivitätssteigerung“. Sowas tut die Gesellschaft? Sich selbst? Und dann noch als Revolution!? Wow! Wir gratulieren! Dann müssten (und mussten) die technologischen Avantgarden sich ja gar nicht erst die Mühe ihrer epochal angelegten mörderischen Zurichtungsoffensiven machen. (Grimmiger) Spaß beiseite! Die historische „ums-ganze“-Bildleiste nimmt das gewünschte Ergebnis bei Unterschlagung des Angriffscharakters und langwierigen -prozesses schon affirmativ vorweg, identifiziert sich mit ihm und säubert zugleich die unangenehme Wahrnehmung der Opfer und sogar der Toten ideologietechnisch heraus. Keine harmlose, sondern verhängnisvolle Operation, die im fordistischen Zyklus die Ermordung von zig Millionen Menschen als unvermeidliche Kosten des Fortschritts rechtfertigen half. Und zur Methodík der Herstellung von Begriff und „Bild“: Selbst Marx hat genug zum Verhältnis von Geschichte und Begriff, zur Geschichte als generativem Ort der Entwicklung von Begriffen gesagt, um jedem selbsternannten Marxisten die Schamröte über ein solches Manöver der Neutralisierung des historisch-technologischen Gewaltcharakters ins Gesicht zu treiben. Zur Geschichte der Kämpfe, wohlgemerkt. Und schließlich hören wir aus dem Vorbereitungskreis des ums-ganze-Bündnisses sogar, dass es darum ginge, mit der Befreiung der Maschinen die in ihnen liegenden Kräfte freisetzen, sodass die Maschinen uns wieder ins „Reich der Freiheit“ bringen könnten.
Das alles geht nicht. Diese Kräfte zielen auf kapitalistische Unterwerfung und Inwertsetzung in Einem. Sie sind in ihrem technologisch-ökonomischen Kern Kapitalismus. Gefordert wird damit praktisch die Befreiung kapitalistischer Gewalt. Aus der geschichtlichen Erfahrung wissen wir, dass die Avantgarden des Kapitalismus keine Barbarei scheuen, um die in den Technologien liegenden Potenziale umzusetzen. Werden sich neue linke Avantgarden in leicht modifizierten sozialistischen Gewändern auch diesmal anschließen? Denn das ist es letztlich, was auch auf diesem Kongress verhandelt wird. Ob du auf der anderen Seite der Barrikade bleibst oder gegen die Barbarei im technologischen Gewand mitkämpfen willst. Wir wollen mit Dir darüber sprechen. Und wenn die Zeit nicht reicht, laden wir zu einem Treffen ein.
Keine Vergangenheit ist auch keine Lösung
Hochschul-AG der TOP B3rlin (Pseudonym)